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Der Malstrom oder: Molls Malstrom

Christian Moll: Einer, der in den Farben leibt und lebt. Aus dem die Bilder heraus und in die Welt müssen. Und sei es, um nur wenig später unter den Schichten des Malprozesses wieder zu verschwinden, unter neuen Bildern. Vielleicht Schwärze zuletzt. Oder ist da nicht immer alles, und manchmal fast zuviel?

Ebenso einfühlsam, wie kompromisslos dringen die Bilder des Malers Christian Moll vor zu einem tief verinnerlichten Bezirk aus Emotionen, Erinnerungen und visionären Gesichtern und bringen in ihrer beeindruckenden Farbigkeit und Brillanz noch im scheinbar Vertrauten und Bekannten etwas gänzlich Neues zum Vorschein, das die Wirklichkeit eines Gesichtes, einer Figur, einer Szene – im Grunde des Menschlichen – um überraschende Dimensionen zu erweitern und damit zu bereichern vermag.

Christian Molls expressive Malerei forscht unablässig, lotet und leuchtet ihre Grenzen beständig aus – ja, sie fordert das Vitale mit großer Vehemenz und Risikobereitschaft heraus. Sie ist im besten Sinne körperlich und verausgabt sich als solche in der größtmöglichen Fülle des malerischen Aktes, der schließlich in Leere resultiert, Erschöpfung und Erlösung zugleich. Daß die Gemälde das große Format, den temperamentvollen Strich und Farbauftrag, die dynamische Komposition nicht scheuen, steht damit in unmittelbarem Zusammenhang.

Physis und Psyche erweisen sich als die beiden Seiten eines kraftvoll und obsessiv ausgeübten Tuns, welches weniger die eindeutige Unterscheidung von Gegensätzen, denn vielmehr deren oszillierende Ambivalenz zu betonen suchen. Denn mit Blick auf das Lebendige: was heißt schon innen und außen? Fremd und vertraut?
Jung, alt? Geburt und Tod?

Moll geht diesen scheinbaren Widersprüchen nicht aus dem Weg, sondern in immer neuen Anläufen stellt er sich ihnen und betreibt eine im Malen und Gemalten sich vergewissernde Recherche der conditio humana; eine Recherche, die um ihre Vorläufigkeit, vielleicht gar um ihre Vergeblichkeit eines final festzustellenden, zu definierenden „So ist es“ weiß, doch genau darin die existentielle Qualität unterstreicht. Die Metamorphosen des Körperlichen werden in diesen Darstellungen nicht fest-gehalten. Sie werden frei-gelassen und kommen so im besten Sinne zu sich selbst.

Als hätte ein Tausch stattgefunden und das spannungsgeladene Innere wäre in einer konkreten Form hervor-getreten, ist nun das Bild sichtbar gewordener Ausdruck dieser leidenschaftlichen Entdeckungsreisen und einer nicht minder hingebungsvollen handwerklichen Experimentierlust. Erst in diesen äußerst intensiv erlebten, tranceartigen Zuständen des „Flow“ vermag der Maler zu seinen Bildquellen vorzudringen und sie zu einem geradezu absichtslosen Strömen zu bringen, dem er sich malend anvertraut und ausliefert. „Das malerische Denken“, nennt Christian Moll das, „das Denken in Bildern.“ Vielleicht ist es der Versuch, in jenen Bildräumen zum Wesen der Farben selbst vorzudringen, ihm neue Möglichkeiten, Freiheiten zu eröffnen. Gewiss aber ist es auch eine Feier des Lebens und des Lebendigen, ohne die Zeit aus den Augen zu verlieren, die bringt und nimmt, die alles in Bewegung hält ohne Unterlass. Die Präsenz, die sich in diesen Bildern manifestiert, ist fragil und kraftvoll zugleich.

So gehen die Bilder ihre Betrachter unmittelbar an und können deren Blick auf vielfältige Weise herausfordern: mit irritierender Schönheit ebenso wie mit verstörendem Erschrecken begegnen sie einander und erkennen sich in glücklichen, aber auch seltenen – und umso wertvolleren – Momenten selbst.

Andreas Kohm